Kollegiales Gespräch.
Suche nach einer verbindenden Sprache

Uta Boockhoff-Gries

Wie befördern wir Qualität beim Bauen - beim öffentlichen wie beim privaten?
Wie schaffen wir Akzeptanz für neue, kreative Entwicklungen?
Wie gehen wir mit überlieferten baukulturellen Traditionen in unserer Stadt um?

Das sind gerade wieder brandaktuelle Themen in unserer Stadt:

Die besorgte Debatte um die Installation des neuen Namens an der AWD-Arena;
die massenhaften Leserreaktionen auf die Pressemitteilung über bevorstehende Abrisse im Zuge von Neuplanungen in der Innenstadt;
die lebhafte Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen der Nutzung und Bespielung des neuen Ernst-August-Platzes;
oder die Auseinandersetzung um die kulturelle Qualität des Altstadtfestes...

Die Stadtgesellschaft ist durchaus wachsam, erwartet von der Stadt mehr als die Unterordnung ihrer Entwicklungsrichtung allein unter ökonomisches Diktat und will nicht außen vor gelassen werden bei solchen Entscheidungen.
Die Bauverwaltung ist dabei naturgemäß nicht außerhalb der Kritik:
Mal zuviel, mal zu wenig Denkmalschutz; mal wird ein zu starkes Nachgeben auf Investorendruck hin vermutet, mal ein tatsächliches oder vermeintliches Hemmnis im Ansiedlungswettlauf um Arbeitsplätze ausgemacht.

Baukultur allgemein und Gestaltungsfragen ganz konkret stehen in der öffentlichen Diskussion - nicht nur in Hannover.

Baukultur ist elementarer Bestandteil kultureller, die Gemeinschaft verbindender urbaner Entwicklung, eine überlebenswichtige Investition in die Zukunft – nicht als abstraktes Marketing-Argument in der Konkurrenz der Städte, sondern als reale Lebenswelt der Stadt - Bewohner. Deshalb unterstützt auch der Deutsche Bundestag die bundesweit agierende Initiative Baukultur.

Baukultur und gestalterische Qualität in der baulichen Entwicklung der Stadt lassen sich nicht in einem hoheitlich organisierten Verwaltungsverfahren verordnen, und sie lassen sich auch nicht plebiszitär „herbeistimmen“. Kultur ist fast ein so „scheues Reh“ wie das Abs´sche Geld – und ebenso wie dieses kommt sie nur zu dem, der sie will und liebt. Das gilt wohl für Personen wie Gesellschaften gleichermaßen. So gesehen haben (oder kriegen) wir das, was wir verdienen.

Idee oder Durchsetzung großer Projekte und Planungen sind selten oder nie Ergebnis einsamer Einzelentscheidungen; sie sind fast immer das Resultat langwieriger komplexer Beratungs- und Entwicklungsprozesse. Fachliche und politische Diskurse schleifen eine Konzeption so weit, bis sie sich in den Stadtkörper einfügt – mal mit besserem, mal mit schlechterem Ergebniss. „Schleifen“ kann eben im Doppelsinn ein veredelnder wie auch zerstörender Prozess sein.
Manchmal gelingt es, durch Wettbewerbe zu optimierten fachlichen Lösungen zu kommen und Alternativen zur Wahl zu stellen.
Oft muss im Laufe von Genehmigungsverfahren durch Beratung das Ergebnis „geschliffen“ werden – mit offenem Ausgang (s.o.).

Diese Prozesse können nicht immer öffentlich im Detail erörtert werden, denn Träger, Bauherren und Eigentümer mit ihren Projekten genießen auch gesetzlichen Schutz.

Seit Rudolf Hillebrecht gibt es in der Landeshauptstadt Hannover einen Kreis professionell mit Gestaltungsfragen befasster Kolleginnen und Kollegen, die in regelmäßiger Sitzung den jeweiligen Stadtbaurat/ Stadtbaurätin beraten. Seit über 40 Jahren (mit kleinen Unterbrechungen) berät dieses Gremium ehrenamtlich wichtige, das Bild der Stadt und ihre funktionale und gestalterische Entwicklung bestimmende Projekte.
Mitglieder waren immer auch nach Wechsel im Amt des Stadtbaurats die jeweiligen Vorgänger. So gab es in Hannover die in der Republik wohl einmalige Konstellation, dass, als ich zur Stadtbaurätin gewählt wurde, zeitweise drei Generationen Stadtbauräte: Rudolf Hillebrecht, Hanns Adrian und ich, an den Beratungen des Kollegialgesprächskreises gemeinsam beteiligt waren.

Neben den Verantwortlichen des Staatlichen Hochbaues wie auch der Staatlichen Denkmalpflege und den beiden Vorsitzenden des Bauausschusses des Rates, die regelmäßig geladen sind, bilden seit Beginn freiberuflich tätige Architekten, Planer, Landschaftsarchitekten und Lehrende der Hannoverschen Hochschule den Kern des Gesprächskreises. In einem Turnus von 3 – 4 Jahren wechseln sie in einem rotierenden Verfahren, um den Kreis jung, repräsentativ und am Puls der Zeit zu halten.
Wichtig war mir immer, den Kreis in seiner Zusammensetzung möglichst vielgestaltig in den professionellen Positionen und Profilen zu halten und neben dem Kontakt zu den Freiberuflern auch den zwischen Stadt und Hochschule über diesen Gesprächskreis zu festigen. Eine grüne Stadt wie Hannover kann auf den Rat von Landschaftsarchitekten z.B. nicht verzichten. Und so kommt der Jubilar ins Spiel:

Norbert Schittek war zwischen 1997 und 2001 berufenes Mitglied im Kollegialgesprächskreis – ein besonders spannender Zeitraum im Entwicklungsstadium der EXPO, in dem viele für die Zukunft bedeutsame Entscheidungen für die Stadtentwicklung getroffen werden mussten.

Ich habe in den alten Einladungen geblättert und einfach die Themenfolge dieser vier Beratungsjahre notiert um diese Jahre noch einmal Revue passieren zu lassen; allein beim Blättern wird diese aktive, drängende Zeit wieder lebendig und präsent:

Cinemaxx am Raschplatz
Neubau Nord LB
Umbau Hauptbahnhof
Umbau Kröpcke
Bauflächenpotenziale in der Stadt
Hotelneubau Friederikenplatz
Grüner Ring
Hotelerweiterung am Maschsee Nordufer
Werbung in der Stadt
Licht in der Stadt
Postgelände hinter dem Bahnhof
ZOB
Nutzungskonzept Hanomag Gelände
Militärbrachen
Entwicklungsgebiete
Entwicklung des Innenstadtrings
Passerelle Bahnhof / Kröpcke
Theodor-Lessing-Platz
Umbau Neues Rathaus
Josa Ghini – Umbau Station Kröpcke
Umbau Klagesmarkt/Nikolai-Friedhof
Konzept Weltausstellung
Stadtplatzprogramm
Erweiterung Landessportschule
Umnutzung Telemoritz
Parkhaus Zoo
Erweiterung Sparkassen- und Giroverband
Gerhard Merz im Güterbahnhof
Rettungsversuch für eine Zinsser-Villa
Stadt am Wasser
Gutachten Passerelle
Leuchtenkonzept Innenstadt
Wettbewerbe und Gutachten: ihre Eignung zur Problemlösung
Konzeption D-Linie
IGS Kronsberg
Kitas von der Stange
Die europäische Debatte um Gestaltqualität.

Für die EXPO gab es ein gesondertes Beratungsgremium, deshalb hat der Kollegialgesprächskreis sich schwerpunktmäßig mit Projekten und Planungen in der Innenstadt befasst.
Allein die Aufzählung der Themen ist schon eine Art Denkmal für die Langzeitwirkung städtebaulicher Themen und Beratungen. Ein unglaubliches Pensum wurde da abgearbeitet. Erfolge kann man in der Erinnerung Revue passieren lassen, die längst selbstverständlich in den Alltag der Stadt eingefügt sind und bei denen man sich wundert, dass sie doch erst so jung sind:

Die Kinos am Raschplatz, mit deren zentraler Ansiedlung ein Abwandern an die Pheripherie verhindert werden konnte.

Der Hauptbahnhof als Empfangsgebäude für Besucher der Stadt mit seinem vom Verkehr befreiten Vorplatz;

der Grüne Ring – weit über die Stadtgrenzen berühmt und geliebt;

Umnutzung von Militärbrachen, wie der Prinz-Albrecht-Kaserne oder das umgenutzte ehemalige Britische Militärhospital, die beide innerhalb kürzester Zeit zu urbanen modernen Wohnquartieren wurden;

oder der Umbau der Passerelle in der Bahnhofstraße, die sich gegen massive Skepsis sehr positiv entwickelt hat;

oder last not least die weltweit publizierte Ausstattung der D-Linie zum EXPO-Gelände.

Andere Themen zeigen, wie langfristig Städtebau angelegt ist und wie lang der Atem manchmal sein muss – weil es hakt, weil nicht alles am Stück geht, weil Entwicklungen manchmal eine andere Richtung nehmen oder weil einfach das Geld fehlt:

Das Kröpcke, die Ideen für den Friederikenplatz, die Entwicklung des Hanomaggeländes oder die des Klagesmarktes mögen dafür stehen.
Themen mit langer Vergangenheit, die mit einer gewissen Redundanz immer wiederkehren oder aber heute unter veränderten Vorzeichen wieder ganz aktuell auf der Agenda stehen.

Spannend zu sehen auch die Mischung und Vielfalt der Themen:
Kleine Projekte zur Korrektur, große Planungsstrategien mit Langzeitwirkung; Tagesgeschäft und weiter Vorgriff in die Zukunft, wie das Platzprogramm, die Lichtkonzepte oder die Strategien zur Integration von Werbung in das Stadtbild;
auch Niederlagen, wie den Abriss der wunderschönen Villa von Zinsser in Kleefeld aus den 50er Jahren, der trotz vielfältiger fachlicher Beratung bei der gegebenen Konstellation von Neueigentümer und Wunscharchitekten nicht verhindert werden konnte.

Kaum zu sagen im Rückblick, was Norbert Schitteks jeweiliger Beitrag im Einzelnen in diesen Debatten war; aber präsent ist mir die durchgängige Frische, zuweilen auch provokante Herausforderung seiner Beiträge. Sein Bemühen um Präzisierung und Schärfung der Begriffe in der Auseinandersetzung, seine Beiträge zur Fundierung von Kriterien und Maßstäben in der Debatte und seine gleichzeitige Sorge, nicht womöglich „normativ“ vermeintliche Königswege oder Patentrezepte sich verfestigen zu lassen.
Von dieser Frische, die wohl auch den täglichen Umgang des Lehrenden mit den jungen Studenten widerspiegelt, hat der ganze Kreis profitiert. Von dem offenen Herangehen an Problemstellungen, der assoziativen Vielfalt der Lösungszugänge ebenso, wie von der Vertiefung mancher Betrachtung durch philosophische oder künstlerisch inspirierte Unterfütterung.

„Planung ist immer ein Stück Weltentwurf“, warf er einmal ein: die Welt ändert sich, sie kann durch normative Setzung nicht aufgehalten werden; eher wird es notwendig, die Wertmaßstäbe zu verändern und die Sicht auf die Stadt und die Methoden zur Lösung städtebaulicher Probleme an zeitgenössische Interpretationsmuster und Welterklärungsmodelle anzupassen. Planungsrationalität ist nicht alles. Der „Entwurf der Welt“ verlangt den Künstler.

Dass die Anteile von Planungsrationalität oder künstlerischer Lösungsstrategie in Hochschule oder Verwaltung im Alltag unterschiedlich gewichtet sind, kann niemanden ernsthaft verblüffen. Aber gerade das aneinander Abarbeiten dieser unterschiedlich geprägten Sphären macht ja den gemeinsamen Austausch so spannend und ertragreich.

Neben der Beratung im Kollegialgesprächskreis hat sich Norbert Schittek mit einer Reihe Einzelthemen als Entwerfer, Moderator oder Teilnehmer an Workshops an der Entwicklung von Ideen und Konzepten für die Stadt beteiligt.

Der Grüner Ring und das dafür entwickelte Leitkonzept sind wohl das Schönste – auch oder weil hier seine bildhauerische Kraft so unmittelbar sichtbar und spürbar wird. Heterogene Landschaften und Räume werden durch ein skulpturales blaues Band geeint.

Der Ringstraßen-Workshop, der der Suche nach einer verbindenden zeitgenössischen Gestalt des Innenstadtrings der Nachkriegszeit gewidmet war, und dessen publizierte Vision der auf der Hochstraße hinter dem Bahnhof grasenden Schafe die städtebauliche Problematik dieser Barriere einem großen Publikum sicher eingehender deutlich gemacht hat als alle bis dahin in Bauausschüssen zum Thema gehaltenen Vorträge der Bauverwaltung.

Der Vorschlag, die Expo am Band des Mittellandkanals linear zu entwickeln, den er gemeinsam mit Kai Michael Koch, Anne Panse, Günter Lüerssen, Adolf Neuenhäuserer, Wolfgang M. Pax und Lutz Schleich im 1. Lavesworkshop zur Weltausstellung ausarbeitete. Auch wenn die Expo später einer anderen Konzeption folgte, wird dieser Vorschlag für die räumliche Entwicklung dieses Bereichs von Bedeutung bleiben.

Die Ausstellung documenta_landschaft_kunst, die konkrete Orte in der Stadt über virtuelle Achsen „mit der Welt“ verknüpfte….

Allen diesen Projekten ist gemeinsam, das Lineare, Verbindende, Grenzüberschreitende im unmittelbar entwerferischen Sinn wie auch in der Interdisziplinarität der Durchführung und Organisation. Wo die Zweckrationalität der Moderne Wiedersprüche nicht mehr fassen oder vermitteln kann, werden sie durch künstlerische Strategien und Interventionen verwoben, pointiert oder aufgehoben.

Mit seinen Arbeiten und seinem Rat hat er für die Planungskultur der Stadt Hannover wichtige Impulse gegeben.

Meine Kollegen und ich sind Norbert Schittek zu großem Dank verpflichtet.

Uta Boockhoff-Gries
Stadtbaurätin